Kunsthändler der Avantgarde
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London

Von Berlin über die Schweiz in Paris angekommen, eruierte Flechtheim in Gesprächen mit Daniel-Henry Kahnweiler und Paul Rosenberg zunächst die Möglichkeiten einer Tätigkeit in Paris oder New York.  Im Dezember 1933 entschied er sich dann, für die Londoner Galerie von Fred Hoyland Mayor tätig zu werden, um den englischen Markt für die französischen Kubisten und die deutsche Moderne zu erschließen und dort Ausstellungen zu zeigen.  Ab 1934 war er offiziell als Repräsentant von Kahnweilers Galerie Simon bei Mayor in London angestellt und konnte zwischen England und Frankreich pendeln. Er organisierte Ausstellungen mit Werken von Picasso, Gris, Léger und Marie Laurencin, allerdings ohne große Verkaufserfolge zu verbuchen. Im März 1935 musste Flechtheim von London aus erneut seine noch bestehenden Schulden bei Kahnweiler ausgleichen. Bis 1936 gelang es ihm auch mehrfach, nach Deutschland ein- und wieder auszureisen, ohne behelligt zu werden. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass er sich um den Status eines Auslanddeutschen bemühte und dem Reich noch als nützlicher Devisenbringer galt. Gleichzeitig hätte ihm bei dauerhaftem Auslandsaufenthalt die Ausbürgerung gedroht. Flechtheims Ehefrau hingegen war in Berlin verbleiben, um das ihr und ihren Schwestern gehörende bedeutende Immobilien- und Kapitalvermögen nicht durch eine Emigration und die damit verbundene Reichsfluchtsteuer zu riskieren. 1935 unternahmen Alfred und Bertha Flechtheim noch eine gemeinsame Italienreise anlässlich ihrer Silbernen Hochzeit und im darauffolgenden Jahr im Februar 1936 ließ sich das Paar scheiden, um das erwähnte Vermögen der Goldschmidts nicht durch Flechtheims Abwesenheit zu gefährden.

Flechtheim weitete inzwischen seine Londoner Kontakte aus und trat mit den Galerien Alex Reid & Lefèvre Gallery sowie Thos. Agnew & Sons, Ltd. in Verbindung. Mit der Jahreswende 1936/37 erkrankte Flechtheim, der seit einiger Zeit an Diabetes litt, und wurde in ein „Boarding House“ in London Piccadilly eingeliefert. Dort soll er sich an einem rostigen Nagel eine Blutvergiftung zugezogen haben. Vom Krankenbett aus setzte er seine Aktivitäten fort: er schrieb Texte, plante weitere Ausstellungen und Reisen und versuchte mit einer Schenkung an den französischen Staat die Bewilligung seines Antrags auf die französische Staatsbürgerschaft voran zu treiben, denn sein deutscher Reisepass war nur bis November 1937 gültig. Ende Februar verschlechterte sich sein Zustand dramatisch, woraufhin seine Frau Betty umgehend nach London reiste. Flechtheims infiziertes Bein wurde amputiert, aber die Operation konnte ihn nicht mehr retten. Alfred Flechtheim verstarb am 9. März 1937 im Beisein seiner Frau im St. Pancrats Hospital. Am 11. März wurde seine Asche auf dem Friedhof Golders Green in London beigesetzt. Die Trauerrede hielt Lord Ivor Churchill.

Im Freundeskreis, in der Fachwelt und unter den Emigranten rief Alfred Flechtheims Tod große Betroffenheit hervor. In der Londoner ,Times’ erinnerte Lord Ivor Churchill an seine vielfältigen Verdienste für die zeitgenössische Kunst und beschrieb seine bis zuletzt anhaltende Hoffnung auf Genesung. Die ‚Pariser Tageszeitung’, ein Emigranten-Blatt, veröffentlichte einen Nachruf des Kunstschriftstellers Paul Westheim. Er ließ hier nicht nur Flechtheims Wirken für die Künste noch einmal aufleben, sondern hob auch seine Tätigkeit als Begründer des ‚Querschnitt’ hervor und bezeichnete ihn als außergewöhnliche Persönlichkeit:

„Alfred Flechtheim war mehr als ein Kunsthändler, er war innerhalb des Zeittheaters, das mit anzusehen wir die Ehre haben, ein Mann, der immer im Vordergrund stand, ein Typ,  den alle Welt kannte, von dem alle Welt redete.“

Die interessantesten Worte über den Wert der Kunst und letztlich seine eigenen Ziele hat Flechtheim selbst in dem Manuskript hinterlassen, an dem er bis zuletzt gearbeitet hat:

„Kunst braucht nichts weniger, als national und provinziell zu sein, denn wirklich große Kunst übersteigt rassische Grenzen und gehört der Welt.“

Zu seinem Erben hatte Alfred Flechtheim schon ein Jahr früher seinen Neffen Heinz Hulisch bestimmt, den Sohn seiner Schwägerin Klara, der seit 1933 in der Londoner Emigration als „dress designer“ lebte. Nach der Testamentseröffnung am 25.6.1937 in London wurde der sogenannte Flechtheim Estate, vertreten von der Kanzlei Herbert Oppenheimer, Nathan, Van Dyck & Mackay in London aktiv, der mit Wissen von Betty Flechtheim und im Auftrag des Neffen und Alleinerben Heinz  Hulisch (Hulton) die Abwicklung der Kunstgegenstände aus Flechtheims Besitz übernahm. Am 1./2. Februar 1938 fand bei S.J. Mak van Waay in Amsterdam mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Auftrag des Flechtheim Estate die Versteigerung des „Nachlass Alfred Flechtheims“ statt, zu der der Kunsthändler Carel van Lier 28 Werke von George Grosz einlieferte, die Alfred Flechtheim zur Schuldentilgung aus dem Vertrag zwischen dem Händler und dem Künstler in sein Eigentum übernommen hatte.

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