Kunsthändler der Avantgarde
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Die Sammlung Jägers

Der wohl größte Kunstfälscherskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte ist in enger und höchst fragwürdiger Weise mit Alfred Flechtheim verknüpft. Die Bande um den vom gescheiterten Kunstmaler zum erfolgreichen Kunstfälscher avancierten Wolfgang Beltracchi (geb. Fischer) instrumentalisierte den durch das NS-System verfolgten Galeristen Alfred Flechtheim, um die eigenen Werke, d.h. Fälschungen im Stil der Klassischen Moderne als Originale zu deklarieren und mit der Provenienz Flechtheim zu adeln. Dies geschah unter anderem, indem Etiketten von Alfred Flechtheim auf die Rückseiten der Gemälde bzw. auf deren Keilrahmen geklebt wurden. Wie die Gemälde, sollten sich auch die Etiketten als Fälschungen erweisen.

Bei Flechtheim-Etikett handelt es sich um einen Aufkleber mit einer Darstellung, die auf einen hochformatigen Miniaturholzschnitt zurückgeht, dessen untere Hälfte das grob skizzierte karikaturhafte Konterfei des Galeristen im Dreiviertelprofil vor undifferenziertem Hintergrund trägt. Darüber ist Platz für handschriftliche Einträge wie Künstlername oder Bildtitel gelassen, im oberen Drittel prangt in weißen, groben Majuskeln auf schwarzem Grund der Schriftzug "SAMMLUNG FLECHTHEIM".

Eben dieses gefälschte Etikett führte zur Aufdeckung des Fälscherskandales. Mehrere eingeschaltete Experten schöpften Verdacht ob seiner Authentizität, denn bis zu diesem Zeitpunkt war ein solches  nicht bekannt. Vor allem konnte man sich dessen gestalterisch schlechte Qualität nicht als Sammlungsausweis von Alfred Flechtheim vorstellen, der bereits über ein eigenes, markantes und ästhetisch überzeugendes Signet verfügte. Keines der bekannten Etiketten oder Exlibris von Flechtheim war so schwach in der künstlerischen wie grafischen Ausführung wie dieses. Kriminaltechnische Untersuchungen des auf den gefälschten Kunstwerken befindlichen Etiketts wiesen später nach, dass das Papier künstlich gealtert worden und der verwendete Klebstoff ein modernes Produkt war, was der Täter später im Prozess gestand.

Um die gefälschten Bilder aus der fiktiven Sammlung Flechtheim herum wurden von den Tätern die Provenienzlegenden „Sammlung (Werner) Jägers" und „Sammlung (Wilhelm) Knops" erfunden. Werner Jägers und Wilhelm Knops waren jedoch keine Zeitgenossen Flechtheims, sondern die Großväter der Täter; der Fiktion nach sollten sie die Werke noch direkt bei Flechtheim erworben haben. Um die historische Herkunft zu untermauern, fingierte die Fälscherbande mithilfe einer alten Rollfilmkamera und entsprechendem Fotopapier historische Interieuraufnahmen. Die Frau des Fälschers Helene Beltracchi wurde als Frau Jägers in historischer Verkleidung und mit den an der Wand hängenden gefälschten Werken abgelichtet.

Der Fälscher Wolfgang Beltracchi verfolgte das Prinzip der Neuschöpfung: Er beschaffte sich Kunst-Kataloge, sichtete Werkverzeichnisse, studierte das Œuvre der Künstler und bereiste authentische Orte. Wenn sich in den Werkverzeichnissen oder Katalogen der Künstler Hinweise auf verschollene Gemälde fanden, setzte Beltracchi an und erschuf diese Werke, für die es keine Abbildungen gab, neu.

Hilfreich für die Verschleierung der Provenienzen und damit einhergehend für mögliche Verdachtsmomente seitens der Experten, Vermittler oder Erwerber der gefälschten Bilder dürfte der Umstand gewesen sein, dass der Kunstbesitz Alfred Flechtheims nicht verbindlich aufgeschlüsselt werden kann. Zwar lassen sich zahlreiche Kunstwerke anhand von Galeriekatalogen, Fotos der Geschäfts- oder Privaträume auf Flechtheim zurückverfolgen, doch ist es in Ermangelung von Geschäftsbüchern oder Inventaren äußerst schwierig herauszukristallisieren, welche davon zum Galeriebestand zählten, welche zum Privatbesitz gehörten oder Kommissionsware waren. Zu bedenken ist auch, dass die Übergänge zwischen Geschäfts- und Privatvermögen durchaus fließend waren, Sammlungen somit flexible Gebilde darstellten, die für die heutige Forschung überaus schwer zu greifen sind. Von den mit Etikettierungen verbundenen Inventarisierungen hingen wegen der sich daraus ergebenden steuerlichen und versicherungsrechtlichen Aspekte erhebliche Geldwerte ab.

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